Bundestag
Plenarsaal. Foto: Landwehr.

Politiker werden bald dankbar sein, wenn sich Medien noch für sie interessieren

Es ist ein Gedanke, der Sie in Ihrer aktuellen Arbeit möglicherweise nicht vorwärts bringt, der aber einen wie mich gelegentlich überfällt: War eigentlich früher alles besser? Ich meine nicht: Waren wir früher besser, – das natürlich sowieso – sondern waren die Arbeits- und Umweltbedingungen günstiger? Bringt es heute mehr Freude und Erfüllung, Journalist zu sein? Oder war es früher leichter, heller, schöner?

Die Frage ist natürlich etwas untypisch für unseren Beruf. Denn Zufriedenheit ist nicht gerade die zum Journalisten qualifizierende Seelenlage. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat uns typischerweise so beschrieben: unruhig, unzufrieden, immer leicht empört. Man kann das natürlich auch anders ausdrücken: hoher Gerechtigkeitssinn, tiefe Wahrheitsliebe, immer auf der Suche nach dem Idealen.

Früher und heute… Mit Sorge und bewundernder Anteilnahme verfolge ich auf den Zuschauerbänken den mutigen Einsatz der Kolleginnen und Kollegen auf den Krisenschauplätzen dieser Welt. Nicht nur habe ich den Eindruck, daß das Gemetzel immer blutiger wird. Es ist leider auch so, daß es für die, die ausziehen, um sich persönlich – also analog und nicht digital – von einem neu aufflammenden Konflikt ein Bild zu machen, immer gefährlicher wird.

Natürlich haben auch früher viele von uns im Einsatz ihr Leben riskiert. Doch hatten in den Zeiten des Kalten Krieges selbst die grausamsten Diktatoren und wildesten Revolutionäre noch einen gewissen Respekt vor der internationalen Presse – jedenfalls eine Scheu, sich unnötig mit ihr anzulegen. Das ist im Zeitalter eines zunehmenden religiösen Wahns völlig unkalkulierbar geworden.

Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Wer ist Freund und wer ist Feind? Ich erinnere an die mutige Reportage des Kollegen, der sich unter dem Feuerschutz angemieteter Leibwächter tief hinein ins Chaos von Somalia wagte und am Ende den Eindruck hatte, es seien möglicherweise gerade seine Beschützer gewesen, von denen die größte Gefahr ausging.

Ein weiteres sind die immer strafferen Umweltbedingungen, denen sich die Spezies Journalist heute anzupassen hat, um nicht von der Evolution hinweggespült zu werden. Und hier stehen wir wieder vor einem zentralen Konflikt: Ein angepaßter, pflegeleichter Journalist ist ja schon nicht mehr Journalist – jedenfalls so wie wir diesen Beruf verstehen. Ein Ringen mit mächtigen Gegenkräften gehört traditionell zum unserem Beruf.

Auch da sehe ich Unterschiede zwischen damals und heute. Früher war es vor allem das Aufbegehren gegen ein Korsett eingefrorener politischer Gedanken – die Linie der Zeitung, den fein ausgetüftelten Proporz in den Rundfunkanstalten -, das dem Journalisten viel Ärger einbringen konnte. Noch heute erleben wir heftige Zuckungen des Ungeheuers. Und doch habe den Eindruck, daß sich diese Form der Zensur allmählich aus dem System wäscht. Oder doch nicht mehr die Rolle spielt wie in den Tagen, als zum Beispiel das Fernsehen für jedes irgendwie politisch zu deutende Ereignis sein entsprechendes Magazin hatte. Also: Wenn zum Beispiel der junge Graf seinen Gärtner ohrfeigte, dann hatte er in der ARD mit dem gerechten Zorn der Kollegen aus Hamburg oder Köln zu rechnen. Und trat der Gärtner dem Grafen in den Hintern, dann war es der gesellschaftliche Auftrag der Münchener, sich über so etwas aufzuregen. Selbst Lojewskis gab es in ausgewogener Dosierung: einen in München, einen in Hamburg, obgleich das wohl nur eine Laune des Zufalls war…

Es ist mein fester Eindruck, daß die Medien im Ringen mit der Politik inzwischen klar die Oberhand gewonnen haben. Zeitungen und Magazine, die früher feste, berechenbare und wenig überraschende Positionen hatten, sind für jede Seite unberechenbar geworden. Um es spekulativ noch etwas zu überhöhen: Möglicherweise können Politiker schon bald dankbar sein, wenn sich die Medien überhaupt noch ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen.

Aber die Entwicklung hat auch ihren Preis. Der Zuwachs an Einfluß nach außen geht mit einer zunehmenden Hilflosigkeit nach innen einher. Verleger wie Rudolf Augstein oder Axel Springer waren von publizistischen Ideen besessen und sahen sich selbst in erster Linie als Journalisten. Heute wächst dem Journalismus ein weitaus stärkerer Gegner heran als die Hüter der politischen Ausgewogenheit: der Trend unserer Tage, den Wert und Sinn des Lebens nur noch am Geld zu messen. Dieser Trend bringt es mit sich, daß der Journalist – gottseidank noch nicht immer aber doch immer öfter – mit Mächten zu ringen hat, denen politische Ideen oder journalistische Ideale ziemlich gleichgültig sind.

Was tun, wenn von der Geschäftsführung zu wiederholten Malen die Anweisung kommt, die Qualität des Blattes durch Kürzungen beim Personal zu heben. Und sollte dies ein Widerspruch sein, dann ist es eben alternativlos. So manche Zeitschrift wurde inzwischen neu formatiert, weil die Marktforschung die Leserschaft nach Alter, Geschlecht und Erwartungshaltung zerlegte und herausfand, daß das Interesse ihrer Leser an Kochrezepten, Wellness- und Gesundheitsfragen einfach größer sei als an der immer etwas verdrießlichen Politik. Und zu solchen Informationen lassen sich über den Text hinaus auch noch Anzeigen schalten.

Wir erinnern uns noch an den netten Amerikaner, der mal die Fernsehkette ProSiebenSAT1  übernahm und bald darauf für das Sechsfache wieder verkaufte. In der Fernsehkritik hat der Mann neue Maßstäbe gesetzt, als er einmal in eine oder mehrere seiner Erwerbungen hineinschaute. Was die Moderatoren in dieser seltsamen Sprache ihm dort erzählten, verstand er ja ohnehin nicht. Ihm fiel aber auf, daß sie zu wenig lächelten.

Mit Wehmut erinnere ich mich an Worte, die Henri Nannen zugeschrieben werden, dem Chefredakteur des „Stern“. Ich war persönlich nicht zugegen, als er das sagte, ich zitiere es in der Fassung von Kollegen, die hoch und heilig versichern, daß dies seine Worte waren: „Selbst wenn wir das Geld zum Fenster rauswerfen, kommt es zur Tür dreifach wieder rein!“ Und das Verblüffende ist: Es kam tatsächlich wieder rein, der „Stern“ lag hervorragend im Geschäft. Auch heute wird – leider nicht mehr in den Medien – Geld aus dem Fenster geworfen. Aber von anderen Leuten, auf anderen Wegen und in so großen Mengen, daß es die richtige Tür nicht mehr findet.

Und noch ein paar Worte darüber, was Thomas Leiff verführt haben könnte, Ihnen zur Einstimmung auf den Mainzer Mediendisput Urgestein aufs Podium zu rollen. Da kam einer dieser mathematisch schon etwas beängstigenden Geburtstage auf mich zu, und freundliche Kollegen, vor allem Kolleginnen riefen an, um mich nach diesem und jenem zu befragen. So in der Art „Was macht eigentlich…?“ Da ist die Versuchung groß, etwas Kluges zu sagen. Und so äußerte ich mich besorgt über die Schwärme und Stürme im Internet, in den sozialen Netzwerken, bei Facebook, über das blitzschnelle Urteil der Internetgemeinde und die Gefahr, daß dem Journalisten am Ende nichts mehr bleibe als hinterher zu schwimmen.

Im Nachhinein erscheint mir meine Expertise etwas mutig und erinnert mich an die tägliche Programmkritik früher im NDR. Da gab es einen Kollegen, der lief immer dann zu ganz großer Form auf, wenn er von vornherein klarstellte, daß er die Sendung, zu der er jetzt mal etwas Grundsätzliches sagen wolle, leider nicht gesehen habe. Aber dann ging es Schlag auf Schlag, und die Autoren senkten die Köpfe…

So will auch ich gleich zugeben, daß ich kein Mitglied in sozialen Netzwerken bin. Meine Bildung – um es mal so zu nennen – ist strikt aus zweiter Hand. Im Zweifel aus den Medienseiten der Zeitungen. Und wenn ich heute lese, höre und schaue, fühle ich mich ja auch immer noch gut bedient und umfassend informiert.

Auch will ich mich nicht mit dem Computer anlegen. Er ist schlauer als ich. Jeden Tag entwickelt er sich weiter, was ich an mir nicht feststellen kann. Natürlich verbringe auch ich viel zu viel Zeit im Internet, und mir fällt mir auf, daß das System mir mehr und mehr seinen Willen aufzwingen will. Zum Beispiel, wenn es schon nach den ersten Klicks auf der Tastatur genau weiß, was ich suche. Das heißt, eigentlich interessiert es sie gar nicht, was ich wissen will, schon klärt mich die schlaue Maschine auf, was im Zusammenhang mit diesem Namen oder Begriff wichtig ist oder „angesagt“, – wir nannten das früher „relevant“. Also in Sekundenschnelle bekommst Du Antworten auf Fragen, die Du gar nicht gestellt hast, von denen Du aber sicher sein kannst, daß eine Mehrheit sie in diesem Zusammenhang stellt. Möglicherweise suchst Du ja das Gleiche. Falls aber nicht, dann läufst Du Gefahr, daß Dein Problem irgendwie abseitig ist.

Was also tun, wenn es blitzt und piept und twittert? Die bedenklichen Aspekte zu regeln, ist Aufgabe der Politik – soweit sie das überhaupt noch kann. Mich interessiert daran, wie wir – die Journalisten – in so blitzschnellen Zeiten mit dieser Technologie umgehen. Es erinnert an die moderne Luft- und Raumfahrt, wo ja die technischen Möglichkeiten schon lange grenzenlos sind, und als einzige Schwachstelle im System der Mensch ermittelt wurde. So verzichtet man mehr und mehr auf den Piloten im Cockpit, weil er bei solcher Geschwindigkeit ohnehin nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, und läßt die Maschine  unbemannt fliegen.

Besonders mutige Zukunftsdeuter rechnen schon mit der Möglichkeit, der Computer könne den Journalismus bald ganz ersetzen und aus den Stichworten der jeweiligen Stürme in den sozialen Netzen einen dazu passenden aktuellen Brei zusammenrühren.

Also: Auf dem Schirm blitzt ein Gerücht oder eine Nachricht auf, und Hunderttausende oder Millionen Daumen gehen hoch oder zeigen nach unten. Haben wir dann noch den Mut und das Selbstvertrauen, Halt zu rufen, wenn uns die Geschichte noch etwas mulmig erscheint?  Schon Mao hat doch gelehrt, daß Millionen oder gar Milliarden nicht irren können. Allerdings lehrt uns deutsche Geschichte – um das nur mal ganz zart einzuflechten –, daß dies doch möglich ist.

Bei den vielen Tugenden und Stärken, die wir Journalisten nun einmal haben – sehe ich eine gewisse verführerische Schwäche. Das Schwimmen gegen einen schon allgemein verfestigten Trend, ist nicht unsere große Leidenschaft. Ja, wir sind mutig, uns mit den Mächtigen anzulegen, aber wir scheuen in unserem Urteil die Einsamkeit.

Und wie die Computer reagieren auch wir auf Stichworte. Um das mal an einem ganz harmlosen Beispiel zu verdeutlichen. Am Hamburger Flughafen wurde eine neue Form der Sicherheitskontrolle getestet: der sogenannte Körperscanner. Das Gerät schaut dem Passagier nicht nur unter die Kleidung sondern gleich auch unter die Haut. Das Echo in den Medien war verständlicherweise groß. Die Stichworte, unter denen wir auf solch ein Thema anspringen, waren zahlreich, ernst zu nehmen und hoch aktuell. Gesundheitliche Schäden durch noch unerforschte Strahlung waren dabei die geringste Sorge. Eher schon der Datenschutz, der Schutz einer sehr intimen Sphäre, die Furcht vor dem „gläsernen Menschen“. Denn solch ein Gerät könnte ja nicht nur Sprengstoff entdecken sondern auch Auskunft geben über die Größe der Leber oder über schwarze Flecken auf der Lunge. Und wenn solche Informationen der Passagiere an die Krankenkassen oder gar an den Arbeitgeber weitergeleitet würden, es wäre für den einzelnen eine Katastrophe. Die Krankenkassen könnten uns ausmustern, die Firma entlassen, die Bank – des zweifelhaften Gesundheitszustands wegen – den Kredi fällig stellen.

Es geschah zu einer Zeit, da ich mehrfach in Hamburg zu tun hatte, und jedes Mal stand ich beim Rückflug vor der Wahl, mich nach der klassischen Methode kontrollieren zu lassen oder eben nach der neuen, ganz tollen oder eben bedenklichen. Aus Neugier entschied ich mich immer für das Bedenkliche, und jedes Mal mußte ich – und mußten die meisten Passagiere – hinterher noch einmal zur Nachkontrolle. Das Gerät hatte an Stellen meines Körpers Kritisches entdeckt, an denen selbst der dämlichste Terrorist keinen Sprengstoff verstecken würde. Zum Beispiel beim Tragen eines T-Shirts am offen sichtbaren Unterarm. Ich erklärte den Kontrolleuren: Euer Gerät spinnt, und das erzählte ich auch zwei hochgeschätzten Kollegen, die einen gewissen Einfluß auf die Inhalte aktueller Fernsehprogramme haben.

Wir alle kennen eine solche Situation: Du erzählst eine – wie Du glaubst – aufregende Geschichte, und am gütigen Lächeln Deines Gegenüber erkennst Du sofort: Es ist ihm wurscht! Wozu sich aufregen, wenn die Aufregung von gestern möglicherweise übertrieben war. Ein paar Wochen später wurde dieser Körperscanner sang- und klanglos wieder aus dem Verkehr gezogen, die Technik sei noch nicht ausgereift. Eine Meldung im Vermischten, das war´s.

Übrigens: Auch ich hätte wahrscheinlich nur milde gelächelt, wenn mir zu meiner Zeit einer  mit solch einer Geschichte gekommen wäre. Zu bedenken ist allenfalls: Wenn wir allesamt so berechenbar sind in unseren journalistischen Instinkten, wenn schnell klar ist, worauf wir anspringen und worauf nicht, dann wird es immer auch Experten geben, die es schaffen, sich in unsere Köpfe hineinzudenken und uns zu manipulieren. Nicht nur die politischen Spin-Doktoren, auch die Werbe-Psychologen der Wirtschaft, die bei jedem Vorhaben oder neuen Produkt ihre Strategie durchdenken: Wie verkaufen wir das in den Medien? Das lehrt der Mediensoziologe Hunziger, mit dem ich nie in allen Fragen einig war, aber diese seiner Thesen leuchtet mir ein. Der größte Triumpf einer Pressestelle oder Werbeabteilung ist es ja, als erste die in ihrem Sinne nützlichen Schlagworte zu setzen. Wer zu spät kommt mit seinen Argumenten, den bestrafen die Medien.

Die Politik denkt zur Zeit darüber nach, ob wohl die Welt unterginge, wenn man die Hochfrequenzcomputer, die rund um die Börsen in Stellung gegangen sind, dazu zwinge, Wertpapiere, die sie auf diesem automatischen Wege gekauft haben, mindestens eine halbe Sekunde lang zu halten, bis die Maschine sie wieder verkaufen darf. Auf unser Gewerbe übertragen: Haben denn wir noch die halbe Sekunde, wenn die Daumen längst nach oben oder unten zeigen? Ist dann noch Zeit, persönlich oder gar vor Ort zu klären – sozusagen analog und nicht digital -, was genau geschehen ist oder ist es professioneller, dem Strom zu folgen und auch spontan auf die üblichen Verdächtigen einzuprügeln.

Noch sind es ja in den meisten Fällen Journalisten, die Skandale in mühevoller Kleinarbeit ans Licht zerren. Aber wir sind nicht mehr konkurrenzlos. Dokumente tauchen im Internet auf, Videos zeigen Einschläge von Granaten. Man sieht Rauch, hört Schreie. Das Publikum will wissen, wer es war. Ich erinnere mich noch mit schuldbeladenem Gewissen an einen ölverschmierten Kormoran. Der war nach dem ersten Golfkrieg und dem Rückzug Sadams aus Kuweit mit listiger Absicht aus irgendeinem Archiv in den internationalen Bildaustausch geschoben worden und hat uns in Europa wie in den USA zu Sondersendungen hingerissen.

Wir leben nun einmal in einer Zeit der schnellen, einfachen Antworten. Alles Komplizierte hat es schwer. Platon hatte gut reden, als er seinen Schülern dozierte: Du kannst nicht denken, wenn Du es eilig hast! Er hatte die Gnade einer viel, viel früheren Geburt. Heute ist es nicht nur schwer, allzeit die Wahrheit aufzuspüren und zu belegen. Es ist auch schwer für komplizierte Wahrheiten, das große Publikum zu finden. Pathos, Emotion und Vorurteile haben es leichter. Aber gerade darin wird sich dauerhaft die Stärke des Journalismus zeigen, dem Publikum das sichere Gefühl zu geben: Wenn etwas Wichtiges passiert, dann muß man den und den Sender einschalten oder die und die Zeitung lesen. Die plappern nicht das Übliche nach, die wollen wissen, was da los ist.

Aber eins – trotz aller schwermütigen Gedanken und hoffentlich voreiligen Sorgen – will ich den Jüngeren unter uns aus der Tiefe meines Alters noch mit auf den Weg geben: Unser Beruf ist immer noch der interessanteste, den es gibt, und die größte Chance eines Menschen, die Welt zu erleben. Verdämmern Sie diese Chance nicht am Computer!

 

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